Erkrankungen

Myasthenie

Bei der Myasthenie handelt es sich um eine muskuläre Ermüdbarkeit, die zu einer schmerzlosen Schwäche der Extremitäten-, Kopfhalte-, Rumpf und Atemmuskeln führen kann. Am häufigsten handelt es sich dabei um die erworbene autoimmunogene Myasthenia gravis (MG) und nur sehr selten um das ebenfalls autoimmunogene Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS), kongenitale myasthene Syndrome (CMS) oder Medikamenten induzierte myasthene Syndrome.

Myasthenia gravis

Die Myasthenia gravis (MG) ist Folge eines autoimmunen Entzündungsprozesses an der postsynaptischen Membran der neuromuskulärer Enplattenregion und kommt in jedem Lebensalter vor. Unterschieden werden eine generalisierte Form von einer rein okulären Manifestation (Lähmungen der äusseren Augenmuskeln mit Doppelbildern und Lidschwächer), die etwa 15% ausmacht. Allerdings kann auch eine initial okuläre MG generalisieren, die Wahrscheinlichkeit nimmt aber nach dem 3. Krankkeitsjahr stark ab. Die aktuelle Klassifikation der Myasthenia gravis unterscheidet darüberhinaus das Manifestationsalter (< 50 Jahre; > 50 Jahre), die Thymuspathologie (Thymushyperplasie oder Thymitis, Thymom, Involution) und die Antikörperassoziation (Acetylcholin-Rezeptor-Antikörper, Titin-Antikörper, MuSK-Antikörper, LRP4-Antikörper). Wahrscheinlich spielen noch weitere Autoantikörper eine Roll, der Pathogenität aber noch nicht abschließend geklärt ist. Bei 15% der Myasthenie-Patienten finden sich keine Autoantikörper.

Diagnostisch kommt neben der klinischen Untersuchungen und Bestimmung der Autoantikörper der sog. elektrischen Endplattentestung eine wichtige Bedeutung zu (Amplitudenabnahme um mindestens 10% zwischen dem 1. und 5. Reiz). Eingesetzt werden auch Testsubstanzen, die zu einer vorübergehenden Besserung der Muskelschwäche oder Doppelbilder führen (Edrophoniumchlorid, Pyridostigminbromid). Bei Nachweis einer Myasthenie sollte ein Thorax-CT oder MRT zur Frage nach einer Thymusdrüsenvergrößerung oder eines Thymoms erfolgen.

Therapeutisch steht insbesondere bei der früh manifestierten Myasthenia gravis mit Vergrößerung der Thymusdrüse oder Nachweis eines Thymusrest die Entfernung ganz im Vorderund, während man bei älteren Pat. und der sog. MuSK assoziierten Myasthenie eher zurückhaltend ist, da diese von einer OP nicht zu profitieren scheinen. Bei Nachweis eines Thymoms besteht ebenfalls eine OP Indikation. Daneben kommen verschiedene Madikamente zum Einsatz. Zum einen Cholinesterase-Inhibitoren (Pyridostigmin-Präparate wie Mestinon oder Kalymin), die zu einer symptomatischen Besserung der Muskelschwäche führen sowie immununterdrückende und immunmodulierende Medikamente. Neben lange etablierten Therapien mit Kortison-Präparaten, Azathioprin, Mycofenolat-Mofitil, MTX, Cyclosporin A setzen wir bedarfsorientiert und im Einzelfall auch i.v. Immunglobuline oder Rituximab sowie alle neueren zur Behandlung der MG zugelassenen Therapie wie Eculizumab, Ravulizumab und Zilucoplan (C5-Komplement-Inhibitoren) sowie Efgartigimod und Rozanolixizumab (FcRn-Inhibitoren) ein. Diese Therapien richten sich gegen die zugrunde liegende autoimmune Entzündung und wirken Verlaufsmodifizierend.  Bei schweren myasthenen Symptomen und myasthener Krise werden neben i.v. Immunglobulinen auch Plasmapherese und Immunadsorption eingesetzt.

Differenzialdiagnostisch muß u.a. an die seltenen kongenitalen myasthenen Syndrome, an eine endokrine Orbitopathie (bei Schilddrüsenerkrankungen), an episodische dyskaliämische  Lähmungen, an Erkrankungen des Hirnstammes und an andere neuromuskuläre Erkankungen, z.B. mitochondriale Muskelekrankungen, bestimmte Muskeldystrophien und das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom gedacht werden.

Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS)

Hier bei handelt es sich um eine seltene autoimmunogene Erkrankung der präsynaptischen neuromuskulären Endplattenregion mit wechselnd ausgeprägter Muskelschwäche und vegetativen Störungen. Bei mehr als > 85% finden sich Autoantikörper gegen spannungsabhängige Calciumkanäle (VGCC-AK). In der ektrophysiologisch Endplattentestung findet sich nach nach muskulärer Anspannung über 10 sec. (im Gegensatz zur Myasthenia gravis) ein deutlicher Amplitudenzuwachs, der ab > 100% auch diagnostisch hinweisend ist. Hervorzu heben ist, dass das LEMS als sog. paraneoplastisches Syndrom in ca. der Hälfte aller Fälle auf eine (häufig noch nicht in Erscheinung) getretene  Tumorerkrankung hinweisen kann (z.B. kleinzelliges Bronchial-Ca.). Deswegen ist neben der Therapie der Muskelschwäche mit (3,4-Diaminopyridin, Pyridostimin) und des autoimmunogenen Entzündungsprozesses mit Cortison und anderen Immunsuppressiva auch eine regelmäßige Verlaufskontrolle und Bildgebung hinsichtlich eines Tumorleidens erforderlich.

Myasthenie verstärkende Medikamente

  • Analgetika Flupirtin, Morphinpräparate
  • Antiarrhythmika Chinidin, Ajmalin, Mexitil, Procainamid
  • Antibiotika Aminoglykoside (v. a. Streptomycin, Neomycin, weniger Tobramycin), Makrolide, (z. B. Erythromycin), Ketolide (Telithromycin, Ketek), Lincomycine, Polymyxine, Gyrase-Hemmer , (Levofloxacin, Ciprofloxacin), Sulfonamide, Tetrazykline, Penicilline nur in besonders hoher Dosierung
  • Antidepressiva Substanzen vom Amitriptylin-Typ
  • Antikonvulsiva Benzodiazepine, Carbamazepin, Diphenylhydantoin, Ethosuximid, Gabapentin
  • Antimalariamittel Chinin, Chloroquin und Analoge
  • Antirheumatika D-Penicillamin, Chloroquin
  • Betablocker Oxprenolol, Pindolol, Practolol, Propranolol, Timolol
  • Botulinum-Toxin
  • Kalziumantagonisten Verapamil, Diltiazem, Nifedipin
  • Diuretika Azetazolamid, Benzothiadiazine, Schleifendiuretika
  • Glukokortikoide* Transiente Verschlechterung bei Behandlungsbeginn mit hohen Dosen
  • Interferone Interferon-alpha (Einzelfälle)
  • Lithium Langzeitbehandlung und bei akuter Überdosierung
  • Lokalanästhetika Procain (Ester-Typ);  Substanzen vom Amid-Typ sind unproblematisch
  • Magnesium hohe Dosen als Laxanzien
  • Muskelrelaxanzien Curare-Derivate
  • Psychopharmaka Chlorpromazin, Promazin und Verwandte; alle Benzodiazepine, Zolpidem, Zopiclon
  • Statine

Kooperatives integriertes Myasthenie-Zentrum aus Klinik und Praxis

Unsere Praxis ist Kooperationspartner im von der Deutschen Myasthenie Gesellschaft zertifizierten integrierten Myasthenie Zentrum (iMZ) zusammen mit der Neurologischen Abteilung der Asklepios Klinik Barmbek (Prof. Dr. P. Urban). Die Betreuung ambulanter Patienten aus dem Großraum Hamburg erfolgt dabei in der Praxis Neurologie Neuer Wall während in der Asklepios Klinik Barmbek Notfälle rund um die Uhr stationär versorgt werden. Dort besteht auch durch eine enge Kooperation mit anderen Fachabteilungen eine optimale Behandlung komplexer oder schwerwiegender Erkrankungen.

 

Weiterführende Links

Interview Dr. Knop und Prof. Urban zum kooperativen Myastheniezentrum

Deutsche Myasthenie Gesellschaft

Myasthenie und COVID-19